
VILLA ROMANA
Florenz, den 6. Juni 1996
Lieber Hans,
nach zwei Tagen Zwischenstop in Berlin, um Winter- und Survival-Accessoires aus Moskau gegen Schwimmflossen und Sommerkleider auszutauschen, haben wir mit dem Mini-Cooper den Brenner passiert und sind in Florenz eingetroffen. Bei unserer Ankunft in der Villa Romana am frühen Abend fanden wir ihre Bewohner weinselig um den Gartentisch versammelt: Einer der Löbberts mit seiner Freundin aus Köln, Irene Blume, die konkrete Malerin aus Aachen, der “Nachrücker“ Tobias Gerber, der bis zum Schluß noch auf einen Autounfall o.ä. von uns hoffte, Veronika Burmeister, der Hausfreund Giancarlo, die Hunde und schließlich in bester Laune und mit weißem Zopf der Commendatore Burmeister selbst, der seine weitschweifige Bonmot-Schlacht unterbrach, um uns eine Führung zu geben. Garten, Terrassen und Fenster der Villa bieten postkartenreife Ausblicke auf das florentinische Panorama. Lorbeer, Rosmarin, Lavendel und die Feigenbäume duften. Uns wurden die großzügigen Räumlichkeiten des “Studio Toscana“ zugeteilt. Bad und Küche zusammengenommen sind so groß wie unsere gesamte Moskauer Wohnung – und doppelt so hoch. Einmal die Woche kommt die Haushälterin Giuliana putzen. In dem Atelier konnten wir die Aquarelle der letzten Monate zum ersten Mal richtig ausbreiten.
Wie Du Dir vorstellen kannst, hat uns der Kontrast zu Moskau völlig überwältigt: die delikate Oberfläche der Stadt, deren lässige Eleganz sich über die Gärten, die kleinen Läden und Werkstätten, die Schaufenster und Märkte erstreckt. Beständig wird dem Auge geschmeichelt und alles ist auf Bequemlichkeit angelegt. Im Gegensatz zu dem anonymen Gedränge in Moskau sind die Blickkontakte auf der Straße offensiv und nur die Touristen tragen ungebügelte Hemden. Einkaufen hatten wir völlig verlernt. Als wir nach unserem ersten Besuch im Supermarkt den Kundenparkplatz verlassen wollten, hatten wir die vorgesehene Einkaufszeit von 90 Minuten um eine halbe Stunde überschritten. Wir neigen ernsthaft dazu, uns hier dem Projekt: "dick werden" zu widmen.
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Wir haben uns Hollandräder besorgt, um vor der Mittagshitze schnell zur Siesta wieder in der Villa zu sein. Außerdem entschädigen wir unsere Körper in einem Sportstudio für die russische Matraze und den Wodkakonsum. Der Blick von der Kuppel des Domes an einem klaren Tag kann beinahe mithalten mit einem Umzug der Kommunisten am 1. Mai: atemberaubend der Aufstieg zwischen den beiden Kuppelschalen Brunelleschis und die drängelnden Touristen auf der Spitze, die sich den Ausblick durch Fotografieren aneignen. Vom Eingang der Uffizien erstrecken sich die Schlangen bis zur Ponte Vecchio. Während wir in Moskau garnicht genug fotografieren konnten, wirkt Florenz millionenfach abgeknipst und motiviert uns wenig.
Herzlich grüßen,
Christiane & Ralf

Florenz, den 13. Juli 1996
Lieber Hans,
für Euren verregneten Sommer das wärmste Mitgefühl! Die Kunsthalle Rostock hatte uns zur Eröffnung der Ostseebiennale eingeflogen obwohl unser Beitrag nicht realisiert werden konnte. Annelie Lütgens hat einen Text für den Katalog geschrieben und war auch selbst da. Künstler und Besucher fröstelten im Bierzelt, das vor der Kunsthalle aufgeschlagen war und erst in der Hotelsauna kamen wir wieder ins Schwitzen.
Hier in Florenz sind alle für den Juli ausgeflogen. Unsere Ateliernachbarin Irene Blume und wir haben die Villa ganz für uns allein. Geschäfte, Trattorien, und leider auch unser Sportstudio haben geschlossen. Die Italiener überlassen die Stadt den Touristen. In einer Stunde Entfernung liegt Livorno. Die Hafenstadt hat den Charme eines heruntergekommenen Badeortes mit einer Academia Navale und Sommervillen im orientalischen Stil. Die bröckelnde Uferpromenade wird selbst in der glühenden Mittagshitze von schweißgetränkten Joggern frequentiert. Wie vergessene mediterrane Kulissen wirken die Cafés und die Buden mit frischen Meeresfrüchten. Vor der Küste dümpeln riesige Tanker. Südlich von Livorno haben wir eine bizarre Felsküste mit glasklarem Wasser entdeckt, wo man hervorragend schnorcheln kann. Die Steilwände sind von der Brandung zerfressen und nur die Einheimischen, deren Motorroller die Straße säumen, klettern hier herunter.
Vor der Sommerpause hat in der Villa Romana die Ausstellung eines italienischen Künstlers eröffnet. Als wir vom Meer zurückkamen, standen die Vernissagengäste bereits in ihren Sonntagskleidern und mit Gläsern in der Hand im Garten. Unter dem weinbelaubten Verandadach der Limonaia war der lange Tisch weißgedeckt. Giancarlo und Giuliana hatten gekocht. Die Ausstellung wird die nächsten drei Monate über hängen.
Mitten in der Ferienstimmung berief die Ex-Frau des Commendatore ein Treffen zur Planung der Abschlußausstellung ein. Frau Mollek-Burmeister organisiert das Ausstellungsprogramm der Villa. Es heißt, daß sie sich dem Kunsthandel widmet. Das Jahr über richtet sie italienischen Künstlern Einzelausstellungen im "Salone", dem Ausstellungsraum der Villa, ein. Am Jahresende stellen dort traditionsgemäß die vier Preisträger zusammen aus und öffnen ihre Ateliers. Von einem Stipendiaten-Konglomerat halten wir so wenig wie von offenen Ateliers. Einzelausstellungen fänden wir besser. Das wird sicher noch etwas anstrengend.
Alles Gute,
Christiane & Ralf

Florenz, den 1. August 1996
Lieber Hans,
auf Deinen Rat hin haben wir in der Villa Massimo in Rom für drei Tage ein Gästezimmer gemietet. Die Villa Massimo steht in ihrer räumlichen und administrativen Dimension in keinem Verhältnis zur Villa Romana. Die Korkenzieher, die im Garten der Villa Romana in Reichweite jeder Gartenbank montiert sind, wären im Park der Villa Massimo schwer vorstellbar.
Der eigentliche Grund für den Rombesuch war ein Wiedersehen mit unseren Freunden Patrizia Mania und Domenico Scudero. Beide sind Redakteure der Kunstzeitschrift "Opening", für die uns Domenico zu unserem Moskau-Aufenthalt interviewte. Domenico chauffierte uns durch die Stadt. Wir besuchten Galerien, passierten sämtliche Akademien der Länder, die diese Form der kulturellen Repräsentanz vor Ort pflegen. Schließlich landeten wir in der amerikanischen Akademie: Campus-Athmosphäre, Sommerausstellung, im Kreuzgang Tische für gemeinsame Mahlzeiten, ein Seminarraum für Italienisch-Unterricht, ein Stella im Billardsalon.
Nachdem die Dependance des Goethe-Instituts in Florenz geschlossen worden ist, ist das "Kunsthistorische Institut" außer der Villa Romana die einzige deutsche Institution. Aus Neugier ließen wir uns von einem Mittelalter-Experten durchs Haus führen. Die Lesesäle mit historischem Mobiliar waren erfüllt von Kontemplation, dem Rascheln der Seiten und dem Rauschen der großen Parkbäume vor den Fenstern. Je näher wir dem Archiv der italienischen Künstler des 20. Jahrhunderts kamen, das aus Kostengründen nicht mehr weiter bearbeitet wird, desto heftiger beklagte unser Führer die Rückwärtsgewandheit, die Unproduktivität und geistige Verfettung in Florenz. Hinterher waren wir etwas deprimiert und schleppten uns in ein Restaurant, um auf andere Gedanken zu kommen. Für Deinen nächsten Florenzbesuch empfehlen wir Dir die Pizza Vegeteriana bei "Le Campane", freitags Fisch bei "Sabatino" und abends im Club "Il Capone" Erholung vom gediegenen Ambiente dieser Boutiquenstadt.
Unterwegs stießen wir auf den ersten Ort in Florenz, der zeitgemäß wirkt: eine von Architekten initiierte Buchhandlung mit Café und Terminals, die Internet-Service anbietet. Nach langer Suche haben wir damit gleichzeitig den richtigen Provider für unsern Mac gefunden und einen Account bei dadanet: dellmoll@dada.it
Beste Grüße,
Christiane & Ralf

Florenz, den 5. September 1996
Lieber Hans,
vielen Dank für Deine Karte. Ja, es ist wahr, nach nun drei Monaten beginnt uns die Idylle und die völlige Abwesenheit zeitgenössischer Kunst zu beunruhigen. Für Dich als Kunsthistoriker ist sicher nur schwer nachzuvollziehen, welche Unlust sich bei uns einnistet, uns den florentinischen Highlights zu nähern. Aber angesichts der Horden, die durch die überhitzten Gassenschluchten trotten, vergeht uns der Bildungseifer. Unser Anschluß ans aktuelle Geschehen ist der Internet-Account, von dem aus wir täglich einige Stunden durchs World Wide Web browsen.
Wie Du weißt, hat uns die Kulturbehörde Hamburg eingeladen, ein Projekt für den öffentlichen Raum zu entwerfen. Allein die Tatsache im sonnigen Italien über Hamburg nachzudenken entwickelt eine Eigendynamik. Nicht zuletzt das hat uns dazu bewogen, unsere Arbeit ins Internet zu verlegen, um so vom Ort unabhängig zu sein. Aber das ist alles noch in der Planungsphase.
Als ersten Schritt ins Web haben wir für Florenz die "Virtual Villa" gebaut. Dabei helfen uns sehr nette Net-Maniacs, Betta Brizzi und Franco Falsini. Die beiden kommen aus dem DJ-, bzw. Grafikbereich und betreiben einen eigenen Server. Ihr “Elements“-Studio könnte einem Bilderbuch von Timothy Leary entsprungen sein: Musik, Drogen, virtuelle Welten und globale Vernetzung. Sie bieten uns nicht nur unbegrenzt Platz an, um WWW-Seiten zu realisieren, sondern stellen uns ihr Know-How zur Verfügung, verwickeln uns in endlose Diskussionen über die Funktionen des Netzes und schlagen sich mit uns die Nächte um die Ohren, bis uns der Schädel brummt. Immerhin hat uns das dazu gebracht HTML zu lernen.
Auf den Reisen durchs Internet stießen wir auf die Webseite, die das Museum in Ferrara für die Max-Klinger-Ausstellung eingerichtet hat. Über 3.000 virtuelle Besucher und deren begeisterte Kommentare verzeichnete Klingers berühmtes Gemälde der Sirene beim Liebesspiel mit einem Matrosen. Das Orginal des Villa-Romana-Gründers ruht hier in einer Holzkiste in der Garage zwischen Fiat-Spider und VW-Golf. Der Ort des Werkes ist nach Sloterdijk das Lager, oder in diesem Fall die Garage.
Während sich unsere Künstlerkollegen vor Fleiß kaum einkriegen und die Gastkünstler mit ihren Skizzenblöcken den Garten bevölkern, gähnt in unserem Atelier die Leere. Kannst Du uns erklären, woran das liegt?
Ciao bello,
Christiane & Ralf

Florenz, den 14. September 1996
Lieber Hans,
gerade sind wir von einem Abstecher nach Hamburg zurückgekommen, wo wir mit einer Arbeitsgruppe der Kunstkommission das erwähnte Projekt diskutiert haben. Im Mai 1997 findet dazu eine Ausstellung im Hamburger Kunstverein statt. Anschließend ging es nach Kopenhagen zur Galerie SPECTA. Dort hatte der Künstler Peter Holst Henckel die Ausstellung "Are you talking to me?" organisiert und unsere Arbeit "Sprechen über Kunst" zusammen mit einem Tisch und zwei Stühlen von Thomas Locher aufgebaut, was gut funktionierte. Die Galerie ließ ein Poster von uns drucken und in der ganzen Stadt plakatieren. Unser erstes Stück in dänisch.
Im Louisiana Museum haben wir die Ausstellung "Nowhere" besucht, die schöne Carlsberg-Glyptothek und einige Shows von Künstlergruppen in Off-Orten – unter anderem im Freistaat Christiana, der sein 25jähriges Bestehen feiert und wo auf den Straßen Drogen wie Obst und Gemüse verkauft werden. Die Dänen sehen gut aus, machen komische Geräusche und haben uns gefallen.
In Florenz ist die Sommerpause glücklicherweise vorbei. Die Italiener sind zurück und die erste Florentiner Biennale findet statt: "Il Tempo e la Moda". Klara Wallner, die zu Besuch war, organisierte Presseausweise. So kamen wir nicht nur in den Genuß der Vorbesichtigungen, sondern auch der Buffets und Empfänge ohne Ende und wurden an sämtlichen wartenden Touristenschlangen vorbeigewinkt. In allen historischen Museen gastieren Designer. Armani in den Uffizien, Gaultier im Institut für anatomische Wachspräparate.
Die ganze Stadt wird bespielt. Von der Stazione Leopolda, wo sich Designer aus den Präsentationsformen der Kunst von Minimal bis heute bedienen über das Forte Belvedere, wo artig enzyklopädisch Künstler abgehakt werden, die mit Kleidung arbeiten, bis zu den weißen Taxis, die Jenny Holzers Statements auf den Kühlerhauben spazierenfahren. Lichtblick ist einzig das Zentrum für Zeitgenössische Kunst in Prato, das verschiedene künstlerische Gruppen und kommunikative Praktiken in Form eines "Laboratoriums" ausstellt. Insgesamt geht es mehr um die Mode als um die Kunst. Bei der offiziellen Eröffnung im Palazzo Vecchio war viel von der Industrieregion Toscana die Rede, die den Anschluß an die internationalen Connections nicht verpassen dürfe. Unter Fanfarenstößen der Bläser in historischen Pluderhosen erhob sich das versammelte Publikum wie ein Mann.
In der Villa Romana ist derweil Ausstellungsumbau. Ein Professor aus Mailand wird demnächst seine Bronzeskulpturen zeigen. Jeden Monatsanfang klopft es an die Ateliertür und Herr Burmeister steht mit einem Bündel Lirescheine davor. Wir können jetzt schon sagen, daß wir das und den Service von Giuliana am meisten vermissen werden wenn die Zeit hier zuende geht. Das Geld investieren wir in die lokale Textil- und Nahrungsmittelindustrie.
Herzlich,
Christiane & Ralf

Florenz, den 7. Oktober 1996
Lieber Hans,
Visit us @ our Virtual Villa! Du könntest uns jetzt einfach und kostensparend in Florenz besuchen, wenn Du Dir ein Modem und einen Internet-Account zulegst. Aber da wir wissen, wie beschäftigt Du bist, verraten wir Dir auf analoger Ebene, was Dir entgeht.
Unsere Besucher können sich ein Fragment unseres Alltags in der Villa Romana auf ihren Rechner laden: 30 Sekunden Atmosphäre des Studio Toscana, den vorbeirauschenden Verkehrslärm der Via Senese. Wie im Internet üblich, fehlt nicht der Hinweis auf die Sponsoren.
Visit our Virtual Sponsors! Wenn Du diesem Link folgst, landest Du auf einer Web-Seite, wo sich nun die Logos von Firmen von allovertheworld aufbauen. Diese Logos haben wir nicht kopiert, sondern lediglich programmiert, daß bei jedem Besuch die Logos von ihren jeweiligen Web-Adressen geladen werden. So verändert sich unsere Seite entsprechend, wenn die "Wirte" ihre Logos austauschen, was z.B. bei CNN oder The Hustler regelmäßig passiert. Wenn alles komplett ist, scrawlst Du durch eine etwa anderthalb Meter lange Seite komprimierte Imagepräsenz. Bei verschiedenen Suchmaschinen erzielten wir mit dem Begriff "Villa Romana" fette Beute: von Ruinenfeldern in Spanien über Hotels in Italien bis zu Trattorien in Kalifornien, wo Du die Speisekarte rauf und runter online bestellen kannst.
Um unsere Ausstellung im Salone technisch zu realisieren, werden wir nach Berlin zurückfahren. Service für Computer ist in Florenz rar. Den Salone bekommen wir jetzt doch für uns alleine, wenn auch nur für zwei Wochen. Aber das macht nichts, da sich sowieso kaum Besucher in die Villa verirren.
Bei der "Quadriennale" in Rom, DER Institution für italienische Kunst der Gegenwart, hofften wir mehr über die zeitgenössische italienische Kunst zu erfahren. Vor dem Eingang des Palazzo d’Arte warteten alle darauf, daß der Präsident mit seiner Vorbesichtigung fertig wurde. "Kunst unter einer Daunendecke," brachte es ein Freund von uns auf den Punkt, "ein bißchen Akademismus, ein bißchen 50er-Jahre-Retro, ein bißchen Neue-Medien-Euphorie... Es hat nicht viel mit der aktuellen Diskussion zu tun. Man spürt keine Dringlichkeit." Aber vielleicht brauchen die Leute das hier auch nicht, wo es so schön warm ist und sich so gut leben läßt. Die Feigen werden reif und platzen an den Ästen, das rote Fleisch wendet sich nach außen und der Sirup tropft von den Bäumen.
Grüße aus dem Süden,
Christiane & Ralf

Florenz, den 28. November 1996
Lieber Hans,
unsere Ausstellungseröffnung liegt hinter uns. Am Vorabend hatten wir bis Mitternacht alles installiert. Da wir Computer-Terminals in Ausstellungsräumen nicht mögen, übersähen nun die Logos der virtuellen Sposoren als Analogie zur virtuellen Villa die Wände des Salone. Jetzt steht nur noch der Katalog an, der meist erst ein Jahr später herauskommt.
Mit den Sammlern H. Flaig und M. Sündermann aus Stuttgart sind wir noch ein letztes Mal ans Meer gefahren. Je weiter wir uns aus dem Talkessel von Florenz entfernten, umso mehr löste sich der Nebel auf, der in dieser Jahreszeit oft auf der Stadt liegt. Allein schon für den Anblick des Meeres hat sich die Fahrt gelohnt. Wir kraxelten auf der Steilküste rum, lagen auf den warmen Felsen und Ralf sprang ein letztes Mal ins Wasser.
Da unsere Gäste sich fremde Kulturen nicht zuletzt kulinarisch erschließen, führten unsere Exkursionen so oft es ging durch Restaurants und in Markthallen, wo ein großer frischer weißer Trüffel für 250.000 Lire erstanden wurde, um daraus nach eingehender Untersuchung von Geschmack und Konsistenz einen Traum aus getrüffelten Kalbsbries zuzubereiten.
Auch hier wird es unaufhaltsam Winter. Die Dunkelheit bricht schon nachmittags herein, so daß wir uns abends hin und wieder in die Lichter und den Trubel der Innenstadt flüchten und eines der Kinos besuchen, die Filme in Originalfassung zeigen. "Stealing Beauty" von Bertolucci, der in der Umgebung von Florenz gedreht wurde, kann man sich eigentlich nur hier anschauen um die volle Dröhnung der sentimentgeschwängerten Toscana-Fraktion abzukriegen. Sei es auf den Rängen eines Art-Deco Kinos mit bunter Glaskuppel, sei es in einem winzigen Saal unter weißgetünchtem Kreuzgewölbe mit dem Charme eines dörflichen Gemeindezentrums. Die Florentiner scheinen den Saisonwechsel als willkommenen Anlaß zu begrüßen, ihre Garderobe zu erweitern. Das Atelier ist ein Kühlschrank. Löbbert und Munding sind bereits abgereist.
Wenn es nach uns ginge, sollte die Villa nach Venedig verlegt werden, wo wir einen verregneten Novembertag verbracht haben. Im geschäftigen Mailand überfiel uns plötzlich das Gefühl, "daneben" zu stehen. So eine exzessive Pause haben wir noch nie gemacht. Jetzt brauchen wir wieder das echte Leben, den Streß, die Stadt, die Arbeit und die Leute.
Bis bald,
Christiane & Ralf